Digitales Expertensystem der Werkstoffkunde
Sonstige Dienstleistungen
Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS) aus Dresden wollen gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Wirtschaft ein virtuelles Werkstoffexpertensystem schaffen. Dieses soll die neuesten Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Aufsätzen über Werkstoffe und die Anforderungen aus einschlägigen Standards genauso parat haben wie das Praxiswissen von Erfahrungsträgern. Der künstliche Assistent soll bei Werkstoffprüfungen die gesammelte Expertise zur Verfügung stellen – und damit das Arbeiten in den Werkstoff- und Metallographielaboren auf eine neue Ebene heben.
Die DiWan-Projektpartner wollen digitale Helfer kreieren, die Werkstoffwissen leicht abrufbar und nutzbar machen. Das Projekt fokussiert auf den »Digitalen Wandel in der Werkstoffprüfung« (DiWan). Das Fraunhofer Institut für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS) koordiniert die Zusammenarbeit mit sechs weiteren Partnern aus wissenschaftlichen Einrichtungen und mittelständischen Unternehmen. Gemeinsam entwickeln die Beteiligten zunächst ein elektronisches Laborbuch, eine Wissensdatenbank und ein digitales Labormanagementsystem. Aus diesen Komponenten entsteht der virtuelle Experte, der für die moderne Werkstoffprüfung neue Möglichkeiten schafft.
Schlüssel für viele Innovationen
Die Genese neuer Werkstoffe und die Analyse ihrer Eigenschaften gehört zu den Schlüsselaufgaben für Innovationen in der Industrie. Oft sind genaue Kenntnisse darüber, wie schnell unterschiedliche Stahlsorten korrodieren, wie hart verschiedene Legierungen sind oder welche Metalle sich mit additiven Fertigungsanlagen verarbeiten lassen, essenziell, um Produkte überhaupt entwickeln zu können.
Dabei mangelt es nicht etwa an Informationen: »Das Wissen über Werkstoffe wächst exponentiell«, erklärt Dr. Jörg Bretschneider, der das Projekt DiWan am Fraunhofer IWS betreut. »Doch nur ein Genie könnte sich die schiere Menge dieses Wissens merken und zielgerichtet zur Verfügung stellen.« Abgesehen davon sind Informationen weit verstreut: in Werkstoffdatenblättern der Hersteller, in wissenschaftlichen Untersuchungen, in Normen und diversen Fachdatenbanken. »Diese Daten sind also prinzipiell da, aber eben nicht alle griffbereit«, betont Bretschneider. »Wir wollen daher digitale Helfer kreieren, die dieses Wissen leicht abrufbar und nutzbar machen.« Dabei beschäftigen sich die Forschenden auch mit der Ontologie der Werkstoffkunde. Es handelt sich um ein Begriffsnetzwerk, das über eine bloße Verwaltung von Daten hinausgeht, indem es auch deren Beziehungen untereinander beschreibt.
Derartige digitale Assistenten können die Qualität und das Tempo von Werkstoffuntersuchungen verbessern. Sind erfahrene Kollegen nicht gleich greifbar, kann eine Konsultation des digitalen Assistenten weiterhelfen – etwa um eine neue Rezeptur für einen angeätzten metallographischen Schliff zu planen. Zudem hofft man darauf, dass die virtuellen Experten neue Querverbindungen und Erkenntnisse aus den bisher verstreuten Wissensquellen herstellen. Die Werkstoffprüfer können ihre Expertise effizienter und umfassender erweitern.
Arbeitswissenschaftler begleiten
Konzepte, wie sie das Projekt DiWan verfolgt, werden den Arbeitsalltag in vielen Laboren deutlich verändern. Dies ist einer der Gründe, warum neben dem Bundesministerium für Bildung und Forschung auch der Europäische Sozialfonds das Projekt fördert: »Wir arbeiten an der Zukunft der Arbeit«, betont die Initiatorin des Projekts, Prof. Martina Zimmermann, Kompetenzfeldleiterin am Fraunhofer IWS und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde. DiWan biete die Chance, Unternehmenskulturen zu verändern. Daher sei die Begleitung des Projekts durch Arbeitswissenschaftler der TU Dresden ein entscheidender Baustein zum Erfolg.
Die Forscher rechnen damit, dass sich das selbstverständliche Zusammenspiel zwischen Werkstoffprüfern und virtuellen Experten zuerst unter den Jüngeren der Generation Smartphone durchsetzen wird. Denn wer es ohnehin gewohnt ist, private Aktivitäten im Internet zu dokumentieren und digitale Plattformen zum Austausch zu nutzen, wird auch als Werkstoffprüfer im Labor ganz selbstverständlich Digitalbilder von Analysebefunden hochladen und mit digitalen Expertensystemen kollaborieren.
Langfristig sollen die im Projekt gewonnenen Ergebnisse auch in die Ausbildungslehrpläne der Werkstoffprüfer einfließen. Zudem soll das Wissen der Mitarbeiter aufbewahrt werden. »Wir wollen mit den digitalen Helfern verhindern, dass dieser Sachverstand verloren geht, wenn ein Werkstoffprüfer den Job wechselt oder in Rente geht«, betont Bretschneider. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die EU fördern das Projekt mit zwei Millionen Euro.