Additiv produzierbar oder nicht?

Artikel vom 21. April 2021
Service und Dienstleistungen

Selbst im 3D-Druck sind der Gestaltungsfreiheit geometrische Grenzen gesetzt. Neuronale Netze können allerdings nahezu in Echtzeit beurteilen, ob ein Bauteil additiv hergestellt werden kann oder nicht. Den Nachweis hat ein Forschungsprojekt der Universität Paderborn erbracht.

Forschungsprojekt: Neuronale Netze können nahezu in Echtzeit beurteilen, ob ein Bauteil additiv hergestellt werden kann oder nicht. Bilder: Protiq

Bei der additiven Fertigung (Additive Manufacturing, AM) handelt es sich um ein industrielles Produktionsverfahren, das sich von herkömmlichen Herstellungsmethoden unterscheidet. Das Hauptmerkmal additiver Fertigung liegt in der hohen geometrischen Freiheit hinsichtlich der Produktion von dreidimensionalen Bauteilen. Da kein produktspezifisches Werkzeug notwendig ist und die Bauteile durch das Auftragen von Material entstehen, unterliegt die Gestaltung der Bauteile wenigen Restriktionen. Allerdings lassen sich Einschränkungen bisher schwer definieren, weil bisher keine klaren Regeln existieren.

Die Produzierbarkeit von Bauteilen wird auf Grundlage der Eigenschaften von Standardelementen definiert.

Aufgrund der werkzeuglosen Herstellung können die AM-Maschinen sehr flexibel einsetzt werden. Sie lassen sich im Rahmen ihrer geometrischen Auslegung prinzipiell zur Produktion jedes beliebigen Bauteils verwenden. Mithilfe von AM-Maschinen werden Dienstleistungen rund um den 3D-Druck angeboten. AM-Dienstleister wie die Protiq GmbH fertigen von Prototypen über Sonderanfertigungen bis zu Kleinserien fast jedes beliebige Bauteil mit industrieller Qualität.

Geometrische Restriktionen

Die Flexibilität der Produktion erfordert eine entsprechende Anpassungsfähigkeit bei der Umsetzung von Kundenaufträgen. Da jede Anfrage speziell ist und jeder Kunde von den Vorteilen Nutzen ziehen möchte, müssen eingehende Bestellungen schnell bearbeitet werden. Wichtig ist zunächst die Überprüfung, ob die Bauteile überhaupt produziert werden können. Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität Paderborn wurde deshalb eine Lösung zur schnellen Produzierbarkeitsanalyse erarbeitet und getestet.

Damit die 3D-Modelle mit Hilfe von Deep Learning verarbeitet werden können, müssen sie konvertiert werden.

Forscher haben Regeln (Design Rules) entworfen, um die geometrischen Einschränkungen in Bezug auf die Bauteilherstellung festzulegen. Die Regeln beruhen auf Standardgeometrien, zum Beispiel Zylindern oder Quadern, die sich auf der Grundlage ihrer Eigenschaften – etwa Länge oder Durchmesser – beschreiben lassen. Auf dieser Basis respektive der Kombination unterschiedlicher Geometrien definieren die Richtlinien die Restriktionen.

Nach dem Training ist das neuronale Netzwerk in der Lage, 3D-Modelle in Echtzeit zu bewerten. Das System entscheidet, ob ein 3D-Modell produzierbar ist oder nicht.

Für Konstrukteure additiv gefertigter Bauteile erweisen sich die Richtlinien als guter Anhaltspunkt. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass die Regeln nur bedingt zur Kontrolle schon bestehender Bauteile geeignet sind. Zur Lösung der Problemstellung ist daher ein flexibler Ansatz notwendig.

Selbständiges Erlernen

Weil die Analyse der Produzierbarkeit eine hohe Anpassungsfähigkeit erfordert, bieten sich Ansätze mit Hilfe von Deep Learning zur Lösung an. So genannte Convolutional Neural Networks, die aus dem Bereich der Bildverarbeitung stammen, können selbstständig entscheidende Kriterien (Features) zur Lösung einer Problemstellung erlernen. Für die Bearbeitung der Produzierbarkeitsanalyse haben die Forschenden der Universität Paderborn deshalb ein solches Netzwerk gewählt. Dieser Ansatz ist imstande, 3D-Modelle, beispielsweise in Form von Voxeln, zu bewerten. Bei einem Voxel handelt es sich um einen Bildpunkt in einem dreidimensionalen Gitter, vergleichbar mit einem Pixel in einem 2D-Bild.

Das Originalmodell (links) und die generierte Karte visualisieren die kritischen Bereiche des 3D-Modells in Bezug auf die Wanddicke. Besonders kritische Bereiche sind durch dunkle Rottöne markiert.

Entwickelt wird ein Modell, das auf Basis eines Datensatzes erlernen kann, 3D-Objekte als produzierbar zu beurteilen oder abzulehnen. Darüber hinaus soll DIE Software in der Lage sein, kritische Bereiche visuell zu markieren. In der Folge ist ein zweistufiges System entwickelt worden.

Kritische Bereiche

Für die Produzierbarkeit eines Objekts spielen verschiedene Aspekte eine Rolle – von Details bis zu großen Strukturen. Ein System muss zur Einschätzung der Produzierbarkeit sowohl Einzelheiten als auch die wesentlichen Zusammenhänge erfassen. Das für eine hohe Auflösung optimierte neuronale 3D-Netzwerk Spatial Hashing Based CNN erlaubt die Verarbeitung von 3D-Modellen mit einer Auflösung von 512³ Voxeln. Deep Learning ermöglicht, die Produzierbarkeit von 3D-Modellen zu bewerten. Da bisher reale Fertigungsdaten fehlen, ist die Funktionalität auf der Grundlage künstlich generierter Daten getestet worden.

Autor: Tobias Nickchen, Promotionsstudent bei Protiq.

Der zu diesem Zweck nachgebildete Datensatz enthält etwa 5000 3D-Modelle, die aus der öffentlich zugänglichen Thingi10K-Datenbank stammen. Die Modelle wurden hinsichtlich des Kriteriums der minimal produzierbaren Wanddicke markiert. Das neuronale Netz wurde anschließend auf Basis dieser Daten trainiert. Als Eingangsinformation wurden lediglich die 3D-Modelle selbst genutzt sowie jeweils die Information, ob ein 3D-Modell Bereiche unterhalb des Schwellenwerts für die Wanddicke umfasst oder nicht. Mit diesen Daten hat das neuronale Netz gelernt, die 3D-Modelle in Bezug auf die minimale Wanddicke zu beurteilen – mit einer Erfolgsquote von 84,25 Prozent.

Zur Visualisierung haben die Projektmitarbeitenden einen Ansatz in die Lösung integriert, mit dem sich Rückschlüsse über kritische Bereiche im betrachteten 3D-Modell ziehen lassen (Layer-wise Relevance Propagation Ansatz). Die Methode propagiert die relevanten Features vom Ausgang des neuronalen Netzes bis zu den Eingangsdaten – den Voxeln. So wird eine Karte (Heatmap) der wesentlichen Bereiche im 3D-Modell erzeugt. Darunter ist die farbliche Visualisierung von Daten zu verstehen.

Die Versuche haben gezeigt, dass sich filigrane Features, die für die Produzierbarkeit eines 3D-Modells entscheidend sind, mit Hilfe von Deep Learning erkennen lassen. Das neuronale Netz kann die 3D-Modelle nach dem Training nahezu in Echtzeit analysieren. Es handelt sich um einen vielversprechenden Ansatz für den 3D-Dienstleister. Die Testergebnisse bilden die Grundlage für zusätzliche Versuche mit tatsächlichen Fertigungsdaten und komplexeren Produzierbarkeitskriterien. Daraus können weitere Schlüsse bezüglich der Leistungsfähigkeit des neuronalen Netzes gezogen werden.

Know-how

Marktplatz für 3D-Druck-Anbieter

Aus dem 3D-Druck-Anbieter Protiq ist ein Online-Marktplatz geworden, auf dem 3D-Druck-Dienstleister ihre Leistungen anbieten. Mit dem Online-Marktplatz hat Protiq reagiert: Innovative 3D-Druck-Technologien rufen in vielen Bereichen wachsenden Bedarf an additiv gefertigten Bauteilen hervor und sorgen für vielfältige Kundenwünsche. Sowohl die kundenindividuelle Einzelfertigung als auch die Produktion größerer Produktserien soll in kurzer Zeit bewältigt werden. Auf dem Marktplatz können Kunden aus dem Angebot verschiedener 3D-Druck-Anbieter die beste Lösung für ihre Anforderungen auswählen, ihr Produkt direkt online konfigurieren und bestellen. Die Grundidee basiert auf der Kombination von additiver Fertigung und Online-Plattform. Grundlage ist die automatisierte Onlineanalyse und -kalkulation von 3D-Druck-Artikeln durch digital vernetzte Systeme. 3D-Konstruktionsdaten werden direkt online auf die Plattform hochgeladen. Durch intelligente Algorithmen werden diese analysiert und mit Hilfe von Kostenkalkulationsformeln online bepreist.

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