Abwasser gibt Auskunft über Infektionsgrad
Messtechnik
Aus Abwasserproben lässt sich vermutlich auf den Sars-CoV-2-Infektionsgrad der Bevölkerung schließen. Das hat ein Team aus Wissenschaftlern und Betreibern von Kläranlagen erforscht.
Viele Sars-CoV-2-Infizierte werden in der Statistik nicht erfasst, weil sie entweder gar keine oder keine typischen Symptome aufweisen und deshalb nicht getestet werden. Wie hoch die Dunkelziffer ist und wie viele Menschen tatsächlich infiziert sind, ist jedoch ein Schlüsselparameter für die epidemiologische Bewertung einer Pandemie sowie die Prognose dafür, wie sie sich weiterentwickeln wird.
Ein Team von mehr als 20 Abwasserfachleuten, Mikrobiologen, Virologen und Modellierern des Helmholtz-Zentrums für
Umweltforschung (UFZ), der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und der TU Dresden erforscht seit mehreren Wochen mit den Kläranlagebetreibern der Städte Köln, Leipzig, Dresden, dem Wasserverband Eifel-Ruhr und weiteren 20 Städten das Abwassermonitoring.
Aus repräsentativen Abwasserproben unterschiedlich stark betroffener Bevölkerungsgruppen wollen die Wissenschaftler den Gesamtinfektionsgrad im Einzugsgebiet von Kläranlagen direkt erfassen. „Wir werden zusammen mit 20 Kläranlagen eine Testphase durchführen, die die gesamte Analysekette von der Entnahme und Aufbereitung der Proben über die PCR-Analyse bis zur Modellhochrechnung umfasst. Letztere muss mit kleinen Fallzahlen und einer großen Dynamik des Gesamtsystems zurechtkommen und auch Aussagen zur Unsicherheit der Prognosen erlauben“, sagt Prof. Georg Teutsch, der Wissenschaftliche Geschäftsführer des UFZ und Initiator des Projekts.
„Die Verunsicherung über die Möglichkeiten von Lockerungsmaßnahmen liegt auch in der unklaren Datenlage über die Dunkelziffer an Infizierten. Wir freuen uns daher, das DWA-Netzwerk in dieses sehr erfolgversprechende Projekt einbringen zu können. Unsere engen Verbindungen zu den Betreibern der Kläranlagen sowie insbesondere unser Wissen und unsere Erfahrungen mit den Besonderheiten der Probenahme für Abwasseranalysen stellen wir den Projektpartnern gerne schnell und umfassend zur Verfügung“, betont DWA-Präsident Prof. Uli Paetzel.
Die Idee des Abwassermonitorings ist nicht neu, ähnliche Untersuchungen wurden bereits im Rahmen des Drogenscreenings und im Zusammenhang mit Polio-Impfmaßnahmen erfolgreich durchgeführt. In Bezug auf das SARS-Coronavirus-2 berichteten bereits im Februar dieses Jahres niederländische Kollegen, dass sie wenige Infizierte pro 100.000 Personen anhand des Erbguts von Sars-CoV-2 in Abwässern aus sechs Kläranlagen – darunter die des Flughafens Schiphol – detektiert haben.
In solchen Messungen steckt Potenzial für die Etablierung eines räumlich differenzierten, kontinuierlichen Frühwarnsystems, um die Folgen von Lockerungsmaßnahmen zu beobachten und nachzusteuern. Mit Probenahmen an 900 Kläranlagen könnten 80 Prozent des gesamten Abwasserstroms und damit ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland täglich erfasst werden. Das wäre zwar eine aufwendige, jedoch keinesfalls unmögliche Aufgabe, die – gemessen an der Aussicht, Infektionsherde bundesweit früh quantitativ, örtlich differenziert und in ihrem zeitlichen Verlauf erfassen zu können – überschaubare Kosten erzeugen würde. Doch bis zu einem schnellen, kontinuierlichen, robusten und flächendeckenden Monitoring- und Frühwarnsystem sind noch einige Herausforderungen
zu bewältigen. Das UFZ und die TU Dresden prüfen in Zusammenarbeit mit weiteren Forschungseinrichtungen und Betreibern von Kläranlagen seit einigen Wochen in einer breit angelegten Voruntersuchung die Umsetzungschancen dieses Gesamtansatzes.
Die erste Herausforderung besteht darin, geringste Konzentrationen an Viren und RNA, die zudem starken Schwankungen unterworfen sind, zuverlässig in den Abwasserproben zu erfassen. Zweitens kommt hinzu, dass die Empfindlichkeit herkömmlicher Nachweisverfahren für die im Abwasser stark verdünnten und nicht mehr infektiösen Viren nicht ausreicht. Deshalb arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zurzeit am Flaschenhals des Monitorings und an der Optimierung der Probenaufbereitung.
„Bis zur Operationalisierung eines integralen Abwassermonitorings ist noch ein ganzes Stück Weg zu gehen, auf dem wir auch so schnell wie möglich die Ergebnisse der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorstellen und diskutieren wollen“, ergänzt UFZ-Virologe Dr. René Kallies.
„Die von den sächsischen Forschern und ihren Kooperationspartnern angewandte Methode, die tatsächliche Infektionsrate der Bevölkerung festzustellen, klingt sehr vielversprechend. Wenn das Abwassermonitoring funktioniert und landesweit umsetzbar ist, steckt darin ein riesiges Potenzial für den Umgang mit der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie – und perspektivisch auch für vergleichbare zukünftige Pandemien, weil damit valide Daten zur sogenannten Durchseuchung der Bevölkerung gesammelt und aufbereitet werden können“, hofft Sachsens Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow.