„Manager mit der Kopfenergie eines Siebenjährigen“
Dienstleistungen
Wer gute Arbeit von seinen Mitarbeitern verlangt, der sollte sie in Ruhe lassen – zumindest für bestimmte Zeiträume. Denn Menschen, die bei der Arbeit ständig unterbrochen werden, liefern schlechtere Ergebnisse und haben kaum eine Chance, innovativ zu werden. Manager haben deshalb gegen Mittag oft nur noch die „Kopfenergie“ eines Siebenjährigen, erklärt Dr. Consuela Utsch, Geschäftsführerin der Acuroc GmbH und der AQRO GmbH. Dagegen hilft nur eine gezielte Strategie, wie sie beispielsweise Olympus Surgical Technologies Europe angewandt hat. Der Spezialist innerhalb des Olympus-Konzerns ist das Entwicklungs- und Produktionszentrum für Endoskopie, bipolare Hochfrequenz-Chirurgie, Systemintegration im Operationssaal und Instrumentenwiederaufbereitung und hat zur Bewältigung der Problematik die AQRO-Methode mit Erfolg adaptiert, wie Utsch im Gespräch mit Georg Dlugosch, dem Chefredakteur von Industrial Quality, erläutert.
PRAXIS – Qualitätsmanagement
Wie entstand die Strategie gegen Störungen?
Utsch: Aus der Erfahrung in der Beratungstätigkeit entwickelte sich die Erkenntnis, dass es trotz strukturierter Prozesse immer operative Hektik gab und die Menschen gestresst waren. Mit Medizinern und Psychologen zusammen haben wir zunächst untersucht, welches die
Gründe hierfür sind und nachfolgend nach einer Lösung gesucht, um die zahlreichen, ungeplanten Störungen zu vermeiden. Deshalb haben wir die Human-Resources-Methode AQRO entwickelt, ausprobiert getestet und eingeführt.
Was ist die Folge von störungsfreier Arbeit?
Utsch: Wir nehmen die ungeplanten Störungen raus, woraufhin der Mitarbeiter dann fokussiert arbeiten kann. Viele haben eine unheimlich hohe Motivation und machen schon nach einem Tag die Beobachtung, dass sie Punkte auf ihrer To-Do-Liste, die schon lange geplant waren, plötzlich erledigen können. Zusätzlich steigt zusammen mit der Mitarbeitermotivation immer auch die Qualität der Arbeit. Deshalb betonen wir, dass Prozessberatung nur die eine Seite ist, ebenso jedoch auch auf die Menschen geachtet werden muss – denn die Evolution hat uns nicht multitaskingfähig gemacht.
Das ist aber schade. Gehören Störungen beispielsweise bei IT-Mitarbeitern nicht zur Tagesroutine?
Utsch: Ein Beispiel: Wir sitzen in einem Meeting und jemand öffnet die Tür, weil er sich im Raum geirrt hat. Dann gucken sich anschließend mindestens drei Teilnehmer des Meetings an und fragen sich, ‘Wo waren wir stehen geblieben?‘ Bei diesen ungeplanten Störungen reißt der Konzentrationsfaden. Experten sagen, dass wir zwischen 10 und 20 Minuten Rüstzeit benötigen, um den Roten Faden wieder zu erlangen. Bei einer zweiten Störung sind 85 Prozent der Menschen deutlich weniger motiviert, sich wieder einzuarbeiten. Manche schieben das Arbeitspaket weg mit dem Gedanken ‘Heute komme ich eh nicht mehr dazu‘, andere wiederum zwingen sich, weiterzumachen. Wenn die Motivation sinkt, sinkt immer auch die Qualität der Arbeit. Aus dieser Nummer kommen wir nicht raus. Das ist noch schlimmer als die Reizüberflutung. Mit dieser kommt das menschliche Gehirn klar, aber die ungeplanten Störungen machen uns extrem energiearm im Kopf.
Was bedeutet Energiearmut im Kopf?
Utsch: Man kann das visualisieren, wie viel Energie wir im Kopf haben, sprich Gedankenenergie oder Innovationskraft morgens zum Beginn der Arbeit. Manager, die viele Unterbrechungen haben, verfügen mittags nur noch über die Kopfenergie eines siebenjährigen Kindes. Das empfindet der Mensch als Stress. Und wohl jeder kennt die Situation, wie man abends nach Hause kommt und sich fragt, was man eigentlich gemacht hat, und einfach müde ist. Die Antwort liegt in den zahlreichen ungeplanten Störungen.
Wie sah das Projekt bei Olympus Surgical Technologies Europe aus?
Utsch: Als Ausgangspunkt existierte der Wunsch, deutlich mehr Innovationskraft zu entwickeln und Services und Produkte schneller in der IT-Abteilung in Richtung Digitalisierung umzusetzen. Zudem sollten Arbeitsprozesse optimiert, Mitarbeiter entlastet und mehr Transparenz geschafft werden. Letzteres gibt dem IT-Leiter die Chance, besser zu priorisieren. Unsere Aufgabe bestand darin, die Gegebenheiten für störungsfreies Arbeiten zu schaffen, das die Mitarbeiter entlastet und darin zu schauen, wie die Arbeit strukturiert werden kann, sodass zusätzlich die Möglichkeit entsteht, Digitalisierungsanforderungen umzusetzen.
Was haben Sie erreicht?
Utsch: Über die Implementierung von AQRO haben wir vor allem zwei Dinge erreicht: Erstens: Die Transparenz für den IT-Leiter, was die Mitarbeiter alles machen. Dabei stellten die Verantwortlichen zudem fest, an welchen Punkten Arbeitsprozesse noch optimiert werden können. Zweitens: Mit der Einführung erhielten die Mitarbeiter die Chance, sich im Großraumbüro zu konzentrieren. Hohe Störungspotenziale durch Unterbrechungen wurden nun vermieden.
Was haben Sie geändert?
Utsch: Wir haben nicht viel anders gemacht, als zunächst die Aktivitäten der Mitarbeiter etwas anders zu strukturieren, das heißt, klare Rollen festgelegt, und einmal ein paar Regeln aufgestellt. Mithilfe dieser Richtlinien ist klar, dass jeder, der das Büro betritt, schweigend zu seinem Platz geht. So stört er seine Kollegen nicht, auch nicht durch eine Begrüßung. Was unhöflich klingen mag, ist nicht so gemeint, sondern im Gegenteil: Es zeigt, dass der Angestellte die anderen Mitarbeiter schätzt, die sich auf die Arbeit konzentrieren. Diese vorher bekannte Problematik zu beseitigen, war das Hauptanliegen. Dabei haben wir es auch geschafft, die Innovationskraft zu steigern – und das ist eng mit dem Thema Digitalisierung verbunden.
Wie entsteht Kreativität?
Utsch: Wenn Menschen eine volle To-Do Liste haben, kann der Kopf nicht kreativ und innovativ arbeiten. Deshalb haben wir uns vorgenommen, in unserer Methode auch Freiraum einzuplanen. Worüber kann man sich Gedanken machen? Was gibt es zu verbessern? Können sich Mitarbeiter diese Fragen stellen, wächst die Kreativität in den Teams.
Beschäftigt Sie das Thema Digitalisierung generell?
Utsch: Das Thema Digitalisierung treibt mich natürlich um. Bei vielen Mittelständlern sehe ich, dass sie den Startschuss verpassen. Wenn wir in ein mittelständisches Unternehmen gucken, dann sind sowohl IT als auch Produktion oftmals nicht auf dem notwendigen Stand. Das bedeutet, dass keiner mehr über den Tellerrand schauen kann, was es für Marktbegleiter gibt und welche tollen Ideen diese entwickeln. Wir sagen klar: Die Verantwortlichen müssen den Mitarbeitern Freiräume schaffen, damit diese Digitalisierungsideen entwickeln können. Durch neue Technologien wird vieles umsetzbar, aber erstmal muss dringend der Spielraum für Ideen geschaffen werden.
Was sind die Vorteile eines Startups?
Utsch: Digitalisierung bedeutet häufig nichts anderes, als die Möglichkeit, moderne Technologien nutzen zu können, um so neue Services und Produkte zu erstellen. Ein Startup ist prädestiniert für diese Vorgehensweise, da es noch über keine Bestandskunden verfügt. Es hat eine gute Idee und kann damit spielen. Der Mittelstand in Deutschland hat jedoch bereits Produkte. Jetzt benötigen wir hier nur noch den Freiraum für die Belegschaften, um die Ideen wieder fliegen zu lassen. Denn wir suchen oftmals nicht mehr die kontinuierliche Verbesserung der Wachskerze, sondern wir suchen disruptiv den Angriff, wie beispielsweise elektrisches Licht. Dazu wird der Freiraum dringend benötigt. Doch solange Menschen den Kopf nicht frei haben, können sie die Innovationsideen nicht entwickeln, die ihr Unternehmen weiterbringen.
Wie stellt ein Unternehmen fest, dass die Qualität der Arbeit steigt?
Utsch: Wir machen meist vor allem zwei Kennzahlentypen fest. Anhand dieser können wir feststellen, ob sich etwas wirklich verändert hat. Wir haben Kunden, bei denen wir merken, dass ein Mitarbeiter auf einmal einen ganzen Tag pro Woche keine Rolle hat, die er frei verwenden kann, weil seine Arbeitspakete schneller fertig werden.
Ist das ein Argument für die Geschäftsführung, so ein Projekt anzugehen?
Utsch: Absolut. Wir haben einen Return on Invest (ROI) von weniger als vier Wochen. Bei einem Team von zehn Mitarbeitern kann man eine Produktivitätssteigerung von 15 Stunden pro Tag erreichen. Das entspricht zwei Mitarbeiteräquivalenten mehr. Dies bedeutet für ein zehnköpfiges Team einen Zeitgewinn von 400 Stunden. Das spürt man extrem.
Gibt es weitere Kennzahlen?
Utsch: Die Kennzahlen sind von Team zu Team und Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Wir haben AQRO beispielsweise in einer Marketing-Abteilung eingeführt. Da war die wichtigste Kennzahl, dass neue und kreative Ideen entwickelt werden. Nach sechs Wochen etwa haben wir nachgehakt, wie die letzte Kampagne bewertet wurde – und wir bekamen die Antwort, dass die Kreativität deutlich zugenommen hatte. In einem anderen Beispiel wurde ein globales Knowledge-Management-System aufgebaut. Nach einem Jahr stellte man fest, dass es keine Neuerungen mit sich brachte. Warum? Weil die Mitarbeiter überlastet waren. Hier lautete die Kennzahl, dass die Artikel häufiger aktualisiert und neue geschrieben werden mussten. Durch den durch AQRO entstehenden Freiraum konnte dafür deutlich mehr Zeit aufgewendet werden.
Die Beispiele zeigen, dass die Kennzahlen auf die Team-Aktivitäten und -Verantwortlichkeiten abgestimmt werden müssen und nicht für alle gleich gelten.
Wie kann ein Mittelstandsunternehmen feststellen, ob es fit für die Digitalisierung ist?
Utsch: Wir haben einen Implementierungsleitfaden entwickelt. Damit können wir einen Readyness-Check machen. Dadurch ist schnell erkennbar, wo weitergearbeitet werden muss. Zusätzlich bieten wir Workshops an, in denen Mittelständler sich über die Technologien und darüber, was die Marktbegleiter im Augenblick schon disruptiv umsetzen, informieren können. Es ist wichtig, dass erste Schritte in die Digitalisierung gewagt werden, aber auf keinen Fall darf man den Kopf in den Sand stecken. Die Problematik geht nicht vorüber. Sie trifft jeden – früher oder später.